Hundeerziehung: Warum Clicker-Training problematisch ist
- Sarah Bug

- 8. Okt.
- 5 Min. Lesezeit
Häufig werben Hundeschulen heute damit, „ohne Gewalt“ und nur mit „positiver Verstärkung“ zu arbeiten. Was die Begriffe „Gewalt“ und „positive Verstärkung“ im eigentlichen Sinne bedeuten, müsste zwar, genau genommen, noch erörtert werden, doch auf den ersten Blick lesen sich solche Schlagworte äußerst gut. Logisch, mit Gewalt sollte niemand erzogen werden und positiv klingt sowieso immer gut.
Gewalt (Duden): Macht, Befugnis, das Recht und die Mittel, über jemanden, etwas zu bestimmen, zu herrschen, Synonym zu Druck, Zwang, Kraft, Stärke
Positive Verstärkung (Zimbardo): Reiz, der zu einem Anstieg der Auftretenswahrscheinlichkeit einer Wirkreaktion führt, wenn er zu einer Situation hinzutritt.
Doch würde man so auch einen Kindergarten bewerben? Dass „Gewalt“ dort keine Rollen spielen sollte, steht außer Frage. Würde man aber „positive Verstärkung“ mit Belohnung gleichsetzen, wie es im Besonderen in der Hundeszene fälschlicherweise häufig getan wird, würden sich sicher einige Eltern wundern. Bekämen die Kinder in diesem so beworbenen Kindergarten Gummibärchen, wenn sie mit Messer und Gabel äßen? Oder ein Eis, wenn sie selbstständig die Toilette aufsuchten? Wäre das positiv? Also gut?
Nicht selten wird in Hundeschulen „positive Verstärkung“ neben den Lerntheorien mit Clickern gleichgesetzt. Zumindest ist diese Form der „Erziehung“ sehr populär und wird vieler Orts angeboten. Beim Clickern werden Verhaltensketten mittels operanter Konditionierung erzeugt, entweder von der gewünschten Endhaltung ausgehend rückwärts oder in kleinen Schritten aufbauend in Richtung der gewollten Handlung (Chaining, Shaping). Clicker-Enthusiasten versprechen sich dabei einen gewaltfreien, freundlichen Lernprozess, da nur das gewünschte Verhalten belohnt bzw. geclickert und unerwünschtes ignoriert wird. Der Hund probiert also selbst aus, welches Verhalten ihm eine Belohnung beschert und welches nicht.
Der Vierbeiner ist in dieser Situation also auf sich selbst angewiesen, er erhält keine Hilfe beim Ausprobieren – aber, so mag man argumentieren, auch keine Strafe. Doch ist es das, was ein hochsoziales Tier wie der Beutegreifer Hund eines ist, möchte, beziehungsweise braucht? Ist diese Form des Lernens artgerecht? Findet hier überhaupt ein Lernprozess statt oder lediglich eine Dressur? In der Humanpsychologie wird Shaping und Chaining im Hinblick auf die Kindererziehung kritisch gesehen, völlig zu Recht: Genau wie wir Menschen, lernen auch Hunde sozial, adaptiv. Natürlich lernen sie auch immer durch Versuch und Irrtum, wie kleine Kinder auch. Doch während Welpen und kleine Kinder oder auch adulte Hunde und erwachsene Menschen sich beim zufälligen Lernen durch Versuch und Irrtum in der Regel mit sich selbst beschäftigen, oder aber, eine direkte Resonanz ihres Gegenübers erhalten – und dies ist häufig eine Korrektur – verhält es sich beim gezielten Konditionieren, ob mit oder ohne Clicker, anders: Dort begibt sich der clickernde/belohnende Mensch selbst in eine völlig unnatürliche Position. Statt, wie als Erziehungsberechtigter üblich, helfend oder korrigierend zur Seite zu stehen, begibt er sich selbst in die Rolle eines nicht Einfluss nehmenden Außenstehenden, der zudem, bei Hunden besonders fatal, bereitwillig Beute (in der Regel Futterbrocken) abgibt, und zwar auf Verlangen des Hundes.
Nichts anderes spielt sich im Gehirn des Hundes ab: Macht er dies oder jenes (vollzieht er also eine bestimmte Verhaltensweise), erhält er Futter – vom Apparat Mensch. Ob sich im Versuch eine Maus mit Schaltern probiert oder der Hund in einer Clicker-Session beim Hinsetzen- oder legen: Versuchsleiter wie Hundebesitzer sind lediglich Statisten, die für den reibungslosen Ablauf zuständig sind. Die Folge: Einerseits fehlt dem Hund die, bei einem so intelligenten und sozialen (und dem Menschen im Übrigen in nahezu allen Verhaltens- und Lebensweisen äußerst ähnlichen) Lebewesen, so wichtige Führungskraft, die ihn unterstützt, die als Vorbild fungiert und wenn nötig korrigiert. Andererseits lernt der Hund in solch einer Situation (denn soziales Lernen findet natürlich trotzdem statt, jedoch nicht auf eine akzeptable Weise), dass der Mensch für ihn absolut nicht ernst zu nehmen ist. Schließlich gibt er bereitwillig Beute ab – und zwar dann, wenn der Hund es von ihm verlangt, wenn der Hund die, im übertragenen Sinne, entsprechenden Knöpfe drückt.
Erwartungshaltung
Doch nicht nur die Beziehung zwischen Hund und Mensch leidet beim Clickern, auch die Erwartungshaltung seitens des Hundes nimmt schnell unerwünschte Formen an. Nicht selten fordern geclickerte Hunde ihre Belohnung ein, indem sie körperlich werden, den Besitzer durch Stupsen bedrängen. Da in der Regel aktive Verhaltensweisen geclickert werden, pushen sich so trainierte Hunde häufig extrem hoch und spulen ihr ganzes Repertoire an Tricks ab oder sind innerlich extrem unruhig, immer in der Erwartungshaltung, es könnte gleich etwas passieren. Oder sie ständig aktiv, geben dem Menschen Kommandos, um Futter zu erhalten, schließlich haben sie es genau so gelernt.
Dass geclickerte Hunde häufig distanzlos werden, liegt auf der Hand: Nicht umsonst vermeiden Zoos Handfütterung bei in Gefangenschaft lebenden Tieren – Handfütterung führt nahezu unweigerlich zu Respektlosigkeit der Tiere den Menschen gegenüber. Sie verlieren ihre natürliche Scheu beziehungsweise nehmen Menschen nicht mehr Ernst und werden schnell extrem aufdringlich. So ist es in nahezu jedem Streichelzoo zu beobachten, in dem Besucher die Tiere in direktem Kontakt füttern dürfen: Die Tiere fordern ihr Futter regelrecht ein. Dasselbe geschieht mit Wildtieren, die von Menschen gefüttert werden: Sie respektieren den Menschen nicht mehr, werden distanzlos oder aggressiv.
Dressur? Wann ist Clickern sinnvoll?
Clickern – überflüssige Modeerscheinung?
Der Clicker kann jedoch auch ein durchaus sinnvolles Instrument sein. Nämlich genau dann, wenn eben keine Beziehung zwischen Mensch und Tier aufgebaut werden soll – in Zoos, in denen die Tiere möglichst nur mit Artgenossen und so wenig wie möglich in Abhängigkeit zum Menschen leben sollen. Da in jedem Zoo Tierarztbesuche jedoch zur Tagesordnung gehören, ist es sinnvoll, dass die Tiere einige Tricks beherrschen, mit deren Hilfe sie möglichst stressfrei untersucht und behandelt werden können. Hier bieten sich die Konditionierungsformen bzw. das Clickern gerade deswegen an, weil keine echte Beziehung zwischen Mensch und Tier nötig ist, ja sie sogar störend für das Tier oder gefährlich für den Menschen sein könnte. Mittels Clicker können die Tiere weitestgehend emotionslos dressiert werden, um Tricks, wie das Anheben bestimmter Körperteile, zu lernen.
Emotionslos?
Und nichts anderes ist Clickertraining – emotionslose Dressur. Emotionen spielen aber bei der Erziehung und der Partnerschaft eine wichtige Rolle, sie sind sogar überlebenswichtig. Wie bereits erwähnt, sind Hunde, ebenso wie Menschen, extrem sozial und natürlich auch emotional. Nicht umsonst hört und liest man überall, dass sich die menschliche Stimmung sofort auf den Hund übertrüge – wäre ein Hund emotionslos, könnte er niemals die menschliche Stimmungslage wahrnehmen. Genau wie in der Kindererziehung auch, ist es in der Hundeerziehung weder möglich noch sinnvoll, Gefühle außen vor lassen zu wollen. Das widerspricht nicht der Tatsache, dass ein souveränes Auftreten für jede Leitfigur das A und O ist – Souveränität bedeutet nicht gefühlsbefreit!
Genauso wenig ist es nötig, in einer bestimmten Zeitspanne den Hund zu loben oder zu strafen, wie es so häufig prophezeit wird. In der Natur gibt es keine Ein-Sekundenregel, die von vielen Hundetrainern gerne angeführt wird. Wie kommt also der Mensch darauf, der Hund müssen binnen einer Sekunde gelobt oder korrigiert werden? Welches Experiment soll das bewiesen haben? Weder verwilderte Haushunde noch Wölfe strafen nach einer zeitlichen Regel.